👩 über mich: die Story

 Teil 1: Wie kam es zur MCS (= Multiple Chemikalien Sensitivität)? 


Einleitend möchte ich mich ein wenig vorstellen:
Ich bin weiblich, Jahrgang 1972, und litt seit frühen Jahren unter einer Schilddrüsen-Unterfunktion (= Hypothyreose). Diese wurde 1989 erkannt, allerdings litt ich wohl schon seit Kindesbeinen daran.

2013 ergab eine Untersuchung beim Radiologen, das ich mehrere Knoten in der SD (= Schilddrüse) habe, und diese vorsorglich entfernt werden sollten, um SD-Krebs vorzubeugen. Somit suchte ich mir ein Krankhaus aus, das einen fähigen Chirurgen für diese als Lapalie bezeichnete Operation zur Verfügung stellte. Ich besprach mich zuvor mit drei unterschiedlichen Ärzten, die mir genau diesen Chirurgen aufgrund seiner langjährigen Erfahrung hinsichtlich der SD-OPs empfahlen.

Um die Story abzukürzen: die OP verlief für den Operateur zufriedenstellend, für mich jedoch weniger. Ich wachte weit nach der schlampig berechneten Zeit der Vollnarkose auf (6 Stunden später als "berechnet": mein Gewicht wurde im Krankenhaus nicht genommen, ebensowenig das ich gefragt wurde, ob ich regelmäßig Medikamente nehme, wieviel ich esse, trinke, ob ich Alkohol oder Drogen konsumiere, ob ich Sport treibe oder sonstiges - Fragen also, die in jedem OP-Anamnesebogen enthalten sind). Nach dem Erwachen aus der Vollnarkose fühlte ich mich zwei Tage, als sei ich "voll auf Droge": ich redete wirr, sah alles verschwommen, konnte mich nicht richtig auf den Beinen halten, kicherte und lachte ständig... Ein herrliches Gefühl! Wäre es nur nicht so unnatürlich gewesen.

Der Operateur sagte mir - im Beisein meines Begleiters (ich erhielt die Aussage des Chirurgs auch schriftlich), ich solle mich "nach 3-4 Wochen mal beim Hausarzt melden und der verschreibt Ihnen dann die Tabletten". Also lebte ich einfach weiter, ohne meine SD-Tabletten zu nehmen (Jodtabletten, die die Hormone nicht ersetzen können und ohne Schilddrüse auch gar nichts bewirken).
Doch nach 10 Tagen kam der Hammer, der mein Leben für immer einschränken sollte - und dies war nur der Anfang:

Mein Kreislauf brach in ungewohnter Weise zusammen. Sobald ich einen Bissen Nahrung zu mir nahm, sackte der Blutdruck weg, ich bekam Herzrasen, Schwindel, Übelkeit, Muskelkrämpfe, Muskelschwäche, Angstzustände bis hin zu Panikattacken, Druck auf den Ohren, verstärkten Tinnitus, Herz-Rythmus-Störungen...
Mehr und mehr Symptome gesellten sich dazu, u. a. eine dauerhaft bleibende Gleichgewichtsstörung, sobald ich intensive Gerüche wahrnahm. Ich landete bis Dezember 2013 nach der OP fünf weitere Male im Krankenhaus - diverse KH wohlgemerkt, mit verschiedenen Untersuchungen. Sei es die gängige Blutabnahme und das Blutdruckmessen, oder eine Nacht inkl. Frühstück (das ich nicht zu mir nehmen konnte), um zu testen, ob ich mir all die Symptome nicht nur einbilden würde.
Binnen der folgenden 10 Wochen konnte ich keine feste Nahrung mehr zu mir nehmen. Ich trank bis zu 6 Liter Wasser täglich, konnte nur noch liegen, und ohne das Abstützen auf einen Begleiter nicht mal mehr die fünf Meter zur Toilette laufen. Ich verlor 35 kg Gewicht in dieser kurzen Zeit, und dachte mein Leben sei vorbei. Ich wollte aufgeben.
Die Symptomatiken bis dahin: ständig anhaltender Dreh- und Schwankschwindel, Übelkeit, Muskelschwäche, Verdauungsbeschwerden, Schlaflosigkeit, Gangschwierigkeiten, Konzentrationsverlust, Wortfindungsschwierigkeiten, ständiger Kopf- und Hirndruck, Kälte-Anfälle (Schüttelfrost), Nervenzucken/Nervenzittern, Muskelzucken, Krämpfe in den Extremitäten, Angstzustände, Panikattacken, Gleichgewichtsstörungen, Druck auf dem Ohr (einhergehend mit einem "hohl klingenden" und "nachhallenden" Geräusch beim Sprechen), sehr verlangsamte Sprache, Verwirrtheit, Lallen, motorische Störungen, plötzliche Aggression...

Nachdem ich in einer Nacht nach nur einer Stunde Erschöpfungsschlaf schließlich schielend aufwachte und mehr als fünf Minuten benötigte, um wieder klar sehen zu können (dies geschah in dieser Nacht zwei Mal), wusste ich, das mir allein mit einem Medikament (= Schilddrüsen-Hormon) nicht mehr zu helfen war. Ich informierte mich - mithilfe eines guten Freundes - im Internet, welcher Fachbereich auf diese Symptomatik spezialisiert ist. Natürlich (konnte ich mir selber denken, aber ich wollte Gewissheit haben) die Neurologie! Ich überzeugte Sonntags morgens meinen Lebensgefährten, das ich nun wirklich nur noch zu einem Nervenarzt gehöre, und wurde in das städtische Krankenhaus begleitet.
Im Dezember 2013 - auf der Neurologischen Abteilung, auf der meine schlimmsten Untersuchungs-Ängste durchgeführt wurden (MRT, ein Albtraum!) - kam eine junge, sehr engagierte Ärztin endlich dem Grund auf die Spur, warum ich nicht fähig war, feste Nahrung zu mir zu nehmen: Kaliummangel ! 
Nachdem dieses Defizit ausgeglichen war, ging es eine Weile bergauf: ich konnte wieder anfangen zu essen, trank in normalen Maßen (2,5-3 Liter Wasser täglich), konnte alleine laufen, sitzen, und litt auch nicht mehr unter all den extremen Symptomen, denen ich monatelang zuvor ausgesetzt war.

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 Teil 2: Wieso MCS (= Multiple Chemikalien Sensitivität)? 

➤ Wie erkannte ich meine chronische (Folge-)Erkrankung?


Doch selbst nach der Möglichkeit wieder Nahrung aufzunehmen, stabilisierte sich mein Zustand nicht in zufriedenstellender Weise.
Ich war seit meinem 17. Lebensjahr Raucher, und das habe ich immer gerne getan! Doch jetzt konnte ich nicht mehr rauchen. Und selbst nachdem ich das Rauchen aufhörte, wurde mir jedesmal elend, wenn mein Lebensgefährte/Mitbewohner/Freunde sich in einem anderen Raum der Wohnung eine Kippe anzündeten. Gut, dachte ich, das liegt an dem vorangegangenen Erlebnis, das Nahrungsdefizit muss auch erstmal wieder aufgeholt/ausgeglichen werden.
Doch mein Zustand verschlechterte sich zusehends (und sehr schnell):
Die Gleichgewichtsstörung nahm zu, ich kippte oftmals einfach "links über" - ob im Sitzen, Laufen, Stehen. Der Schwindel nahm erneut zu: vor allem der Schwankschindel, der mir jedesmal das Gefühl gab, als stehe ich auf einem lecken Boot auf hoher See inmitten eines Sturmes; meine seit Kindesbeinen an vorhandene Dauermüdigkeit verschlimmerte sich; Desorientierung und Verwirrtheit bis hin zu demenzähnlichen Anzeichen, sobald ich Gerüchen ausgesetzt war; sobald ich (und auch das habe ich seit Kindheit an ständig benutzt) ein Tempo benötigte, wurde ein Drehschwindel ausgelöst, der minutenlang anhielt; Krämpfe in den Extremitäten folgten, die nahezu in Erstarrung und Unbeweglichkeit des jeweiligen Körperteils eskalierten (z. B. mein rechtes Bein, linker Arm); Knochenschmerzen; Nervenschmerzen und ständiges Nervenvibrieren/-Zucken, Atemnot, Unfähigkeit Gerüche über die Nase abzuatmen...

All die Symptome - und viele weitere - traten auf wenn ich: an der Luft war, Gerüche wahrnahm (u. a. schon ein Flugblatt vom Supermarkt, das mein Lebensgefährte auf dem Klo als Lektüre liegen ließ; eine neue Packung Taschentücher; ein Brief; ein Blatt Papier mit Bleistift beschrieben... ) oder meine Pflanzen goss. Auch meine Tiere bereiteten mir zunehmend Probleme. Einige hatte ich nach der Schilddrüsen-OP schweren Herzens abgeben müssen, andere waren kurz darauf gefolgt, nachdem ich neue Hoffnung geschöpft hatte, wieder gesund zu werden. Wie dem auch sei, ich konnte nicht mehr an den Käfig. Er musste weit weg von mir im Wohnzimmer stehen, und selbst dann hatte ich mit der Zeit immer heftiger auf das Streu und Futter reagiert.

Nach einigen Monaten konnte ich nur noch durch den Mund atmen. Das Abatmen durch die Nase wurde zum Albtraum: es war, als hätte man mir Pfropfen in die Nase gesteckt, und ich japste und schnappte nach jedem bißchen Luft.

Ich gebe zu, mein Ansatzpunkt, um zu erfahren, was mit mir los sein könnte, unter was ich leiden könnte, war natürlich nicht der richtige, aber es hat mir damals doch sehr geholfen (und da ich offen bin und weiß, das es vielen Menschen ebenso geht und sie einfach Angst haben, dies zuzugeben, möchte ich, das sie wissen, das sie nicht alleine sind): ich sah in der gängigen Suchmaschine nach unter: "Ich kann nicht mehr rauchen - ich bekomme keine Luft mehr weil... " ➤ hier habe ich dann meine Symptome eingegeben.

Ich stieß auf eine Webseite, auf der ich den Begriff "MCS - Multiple Chemikalien Sensitivität" zum ersten Mal in meinem Leben hörte. Ich war völlig überfordert von der Flut an Informationen, war ich doch zu diesem Zeitpunkt auch kaum fähig, überhaupt Informationen aufzunehmen. Ich glich meine Symptome ab. Ich informierte mich weiter über diese mir total unbekannte Erkrankung. Ich meldete mich in Foren an, ich wollte alles erfahren - und stieß mit den Jahren auf Zusammenhänge zwischen der Schilddrüse und der Multiplen Chemikalienunverträglichkeit.
Doch meine Symptome verschlimmerten sich nicht nur, sie traten seit März 2014 vor allem auf, wenn ich mich mit Chemikalien/ätherischen Ölen/Duftstoffen konfrontiert sah:
Kräutern (frisch/getrocknet), beim Zubereiten von Gemüse (Fleisch/Fisch habe ich nie gegessen, allerdings mein Lebensgefährte, und bei der Zubereitung dessen leide ich unter leichten bis hin zu starken Symptomatiken), Verzehr von Ölen generell, Salz, Gewürzen, frisch gegossener Blumenerde, Wäsche von Nachbarn auf Terrasse/Balkon, wenn ich putzte, beim Spülen oder meine Wäsche in der Waschmaschine hatte, aber auch beim Staubsaugen und Haare föhnen
  Nach ca. einem Jahr (fast 2015) war es mir nicht mehr möglich, vor die Tür zu gehen. Allein der Geruch der Autoabgase (ich wohne an einer 24/7 befahrenen Hauptstraße) durch die geschlossenen Fenster zwingen mich - vor allem im Sommer - in die Knie. Doch auch Gegenstände in meiner eigenen Wohnung wurden mir unerträglich: Dekogegenstände, seien sie aus Hartplastik, Stein, Ton (sonstigem); Poster/Postkarten/generell Bedrucktes; Bücher; diverse Glühbirnen (v. a. sogenannte Energiesparbirnen), Papier, Stifte (von Bleistift bis Kugelschreiber) etc.
Auch der gängige Alltag bereitete mir mehr und mehr Probleme: beim Duschen wurde mir schlecht, Schwindel setzte ein, ich wankte in der Wanne, konnte mich oftmals nur schwerlich abfangen um nicht zu stürzen. Magendruck und Übelkeit beim Zähneputzen (und danach bis zu einer halben Stunden heftiger Schwindel), und auch meine seit Kindheit an verwendete Feuchtigkeits-Creme für die trockenen Lippen rief heftige Symptome hervor. Ganz gleich, welches "Hygieneprodukt" ich anwendete: mir ging es schlechter und schlechter, und die Symptome verstärkten sich rapide.

Sicher, ich bin kein Mediziner. Das ist mir verwehrt geblieben, denn zu einem richtigen Abitur habe ich es nie geschafft. Lediglich zu einem Fachabitur - was daraus geworden ist? Was spielt das noch für eine Rolle? 😉 Ich sprach viele Ärzte auf MCS an. Ich ging zu Neurologen, zu Internisten, zu einem (und zwar dem einzigen auf Kasse bezahlten) Endokrinologen (mit zweimaligem Prof. und sogar Dr. davor), zu Ernährungsberatern, einem Gesundheitserhalter (er selber mag sich nicht Arzt nennen, obwohl Doktortitel), Gastroenterologen (einer davon sagte, das ich seiner Meinung noch mehr an Gewicht verlieren solle), ging zum Sportmediziner, Nuklearmedizin, zu HNOs, Kardiologen, Diabetologen, Gynäkologen... wen hab' ich vergessen?
Es waren so viele Ärzte in den vergangenen fünf Jahren, das ich all das nicht mehr weiß. Ich habe viele Unverschämtheiten über mich ergehen lassen müssen, und sah mich als Frau über 40 immer wieder unverhohlenem Sexismus ausgeliefert - und ebensolcher Willkür. Denn entweder wurde mir gesagt, das "MCS keine Krankheit ist, sondern Sie sind eben einfach so, also hypersensibel, da kann man nix machen, da müssen Sie an sich arbeiten und sich abhärten" oder (und das von 97% aller Ärzte) "Sie leiden unter einer psychosomatischen Störung, Sie sollten in eine Angst-Therapie gehen" (nebenbei: in der war ich, mir wurde bescheinigt, das ich mental kerngesund bin). Die restlichen 1% (Neurologe & Psychiater, sag ich da nur) meinte, ich leide sogar unter einer "dissoziativen Schizophrenie". Ein Befund, der schnell zur Entmündigung führen kann.

All diese Arztbesuche waren nur noch frustrierend, entmudigend und meistens sogar demütigend.
 Doch mit der Zeit - ich wollte das Thema MCS so wenig wahrhaben wie all die Ärzte - wurde klar:
ich leide unter einer Chemikalienunverträglichkeit! 
Letztendlich geriet ich an einen Umweltmediziner - ich mag keine Hoffnung streuen, auch er ist der einzig per Kasse zugelassene Facharzt dieser Richtung hier in der Umgebung. Und selbst er hatte keine Ahnung, wovon ich spreche. Doch er nahm mich ernst - als einziger Arzt unter ca. 100 Ärzten, die ich in all der Zeit konsulitiert und um Rat und Hilfe gebeten habe. Er bejahte, das es MCS tatsächlich gibt, das meine Symptome alle Zeichen einer MCS aufweisen, und das er selber (schade für mich) sich damit nicht auskenne und - vor allem, sehr hoffnungsraubend! - es keine Heilung gibt.

Ich stütze mich nicht auf das Urteil von 100 unwissenden, ignoranten Ärzten. Ich selber weiß, an was ich erkrankt bin. Die MCS ist nicht die einzige Folgeerkrankung, die ich nach der SD-OP erleiden musste. Auch die allseits gerne ignorierte und wenig erforschte Polyneuropathie macht mir das Leben nicht leichter. Hinzu kommt, das ein lange unerkannter, extremer Vitamin D3-Mangel meine Knochen dünner hat werden lassen, womit meine generelle körperliche Instabilität jedoch bei Weitem noch nicht erklärt ist. Doch wenn sogar ich in diesem Kral (= Hessisch für 'kleine Stadt' 😉) auf einen Arzt gestoßen bin, der mir zuhörte und mich ernst nahm, der mich als Menschen sah - gleich welches Geschlecht oder Alter ich habe - dann habe ich Hoffnung, das es für jeden chronisch Erkrankten einen solchen Mediziner gibt, der sich das Anliegen des Erkrankten zu Herzen nimmt! 💗

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 Teil 3: Wie lebe ich jetzt mit MCS? 


Nur über Erfahrungsberichte und regen Austausch mit Betroffenen habe ich gelernt, meine Erkrankung als organische (= körperliche) Krankheit anzuerkennen. Doch ebenso habe ich gelernt, das ich nicht alleine bin! Auch wenn mich zu Beginn viele Beiträge und Nachrichten, viele Blogbeiträge und medizinische Seiten nahezu in Depressionen stürzten und mir jeglichen Mut nahmen, so bin ich mittlerweile - mit all den Jahren mit der MCS - klüger geworden und habe eine dickeres Fell bekommen. Ich stelle mich der Realität nur ungern, das gebe ich zu. Doch ich ignoriere die Tatsache nicht mehr, das es viele Menschen wie mich gibt, die unter unbekannten Erkrankungen leiden und die nicht ernst genommen werden.

Wie ich lebe? Tja, es ist nicht das Leben, das ich mir erhofft hatte. Ich träume noch heute manchmal von meinem absoluten Traumberuf (man sehe und staune): Offset-Drucker. Fast hätte ich den Gesellenbrief in der Hand gehabt, doch das Leben kam mir damals (vor zwanzig Jahren) dazwischen. Lange Geschichte die (um Michael Ende hier zu zitieren) ein andermal erzählt werden wird. 😉 Doch an sich wollte ich immer nur eines in meinem Leben sein: ein Schreiberling, ein Schriftsteller. Ich liebe das Schreiben mehr als alles andere im Leben. Ohne Schreiben fehlt mir was - und solange ich noch an meinem PC hocken und tippen kann, geht es mir doch noch gut. Viele MCS-Erkrankte können nicht mal mehr das.

Abgeschottet bin ich seit langem. Ich war immer ein Außenseiter, und ich war es immer gerne. Ich habe viel nachgedacht, von Kindheit an, über die Welt, das Leben und alles (ein kleiner Insider Gag sei mir an dieser Stelle gestattet: 42). Mit MCS zu leben heißt, klüger zu sein als die Gesellschaft. Sich nicht nur entziehen müssen, sondern es bewusst zu tun: Umweltgifte auszuschließen und ebenso auch Menschen, die keine Rücksicht auf das Leben an sich nehmen wollen.
Sicher habe ich Freunde. Für mich persönlich "meine Jungs", und diese möchte ich erwähnen, denn nur so funktionieren Besuche bei mir: sie duschen seit Jahren nur mit Wasser, waschen ihre Wäsche nur mit Wasser und Backpulver, benutzen bei mir Daheim nur mein Pulver, das zur Körperhygiene angeboten wird, und sie kommen allesamt immer nackig in die Wohnung (hahaha) - weil sie ihre Klamotten hier in der Wohnung haben, und nur diese hier tragen dürfen.

Um zum Ernst der Situation zurückzukommen (seufz, das mache ich in diesem Moment ungern): Straßenkleidung (vor allem Leder- und synthetische Schuhe) gehen hier gar nicht; keine bedruckten T-Shirts, keine synthetischen Klamotten, kein Leder (gar kein Leder in irgendeiner Form), keine Handys oder anderweitige Mobilgeräte, keine gefärbten Haare, keine sog. Hygiene- oder Schminkprodukte (also kein After-Shafe, keine Seife, kein Shampoo, kein Duschgel...)... es geht nichts, nichts und wieder nichts. Wenn 2-3 Mal jährlich Handwerker in meine Wohnung kommen müssen, um Reparaturen/Messungen vorzunehmen (Heizung etc.), spricht mein Lebensgefährte Tage zuvor mit der jeweiligen Firma ab, das die betreffende Person keine Duftstoffe auftragen darf - und ebenso nicht kurz vor der Tür eine Kippe ausmachen oder einen Kaffee/Tee mitbringen darf. Einige langjährige Handwerker wissen mittlerweile um meinen Zustand, und sie nehmen tatsächlich Rücksicht.
Am süßesten - dies noch, um allen MCS-Erkrankten einen kleinen Silberstreif zu schicken - ist mein Lieblings-Handwerker, der jährlich die Rauchmelder überprüft (Zitat):
"Ich habe schon davon gehört, es gibt immer mehr Menschen, die das alles nicht mehr vertragen. Nein, ich will ja nicht, das es Ihrer Frau so schlecht geht, also hier ist der Stab, damit drücken Sie dann einfach auf den Rauchmelder. Wenn der piepst, dann ist er okay. Wenn nicht, erkläre ich Ihnen im Treppenhaus, wie Sie den grade schnell selber auswechseln können."
Na? Ärzte mögen uns manchmal ignorieren, aber manche Menschen nehmen trotzdem Rücksicht!

Und dann noch das leidige und leider unvermeidliche Thema der Nahrungsmittel-unverträglichkeiten, das hier erwähnt werden muss. Hier geht es nicht nur um Lactose-/Fructose-Intoleranz, um Gluten- und sonstige Unverträglichkeiten. Besonders schlimm trifft es all jene, die so gar nichts mehr zu sich nehmen können außer maximal einer Handvoll unterschiedlicher Lebensmittel. Ich selber bin seit 2,5 Jahren auf 3-4 Lebensmittel beschränkt. Zum Glück zählt noch eine einzige bestimmte Sorte Kartoffeln dazu (besonders wichtig für die Aufnahme von Kalium). Muss ich auf eine andere Sorte ausweichen, weil diese nicht verfügbar ist, setzen starke Symtome sein, die mir zuweilen tagelange Nervenschmerzen, Muskelschwäche und immer wieder auftretenden Schwindel bescheren - ganz zu schweigen von den "Standard-Symptomen" (traurig, das ich es so nennen muss) wie Übelkeit, Magendruck, Nervenzittern, Herz-Rythmus-Störungen, plötzliche heftige Müdigkeit, Unruhezustände...

Und wie ist es sonst so? Seufz...
 Ich kann seit Jahren die Wohnung nicht verlassen. Spaziergang im geliebten Herbst, wenn die Blätter sich bunt färben und die Luft nach Erde und Regen riecht? Mal munter mit Schneebällen schmeißen, wenn es an Weihnachten dann doch mal das herrliche Weiß vom Himmel rieseln lässt? Im Sommer mal gemütlich ein Stündchen in den Park hocken und lesen? Spontan mal Abends mit Freunden in die Kneipe? Kinobesuch? Museum? Im See schwimmen gehen?
Ich könnte stundenlang weiter aufzählen, was alles nicht mehr geht. Daran ist nicht zu denken, denn schon jeder Arztbesuch, den ich höchstens ein Mal jährlich tätige, ist zu einer fast unüberwindbaren Hürde geworden.
Und auch hier drinnen ist es nicht, wie es "normal" sein könnte: Weihnachtsdeko oder gar ein Bäumchen aufstellen? Leckeres Essen im Kreise der Lieben? Eine Party am Geburtstag? Häppchen und Chips bei einem spannenden TV-Abend? Spontaner Besuch bei/von Familie/Freunden? Geht alles nicht mehr, leider. Und ja, es fehlt mir. Es fehlt mir alles sehr. Ich vermisse dieses Leben. Ich vermisse mein Leben.

Und doch: so lebe ich. Mit MCS.

Euch da draußen (und vor allem drinnen) alles Gute! 💖

P.S.: zum Abschluss möchte ich an dieser Stelle ganz besonders alle MCS-Erkrankten grüßen und ihnen viel Kraft & Mut wünschen! Vor allem aber wünsche ich allen chronisch Erkrankten Menschen, die euch zur Seite stehen, die Rücksicht auf euch nehmen und die euch ihre Liebe schenken! 💗