Dienstag, 10. Mai 2016

wenn jemand nicht zuhören will...

... kann man noch so viele Worte machen, er wird es nie begreifen


Ich kürze die Einleitung ab: mein Vater - bei dem ich aufgewachsen bin und den ich sehr liebe - hatte vor gut zwei Jahren einen schweren Schlaganfall und ist seitdem auf Hilfe angewiesen. Rechtsseitig gelähmt, kann er auch nur noch in Code-Worten sprechen. Er wohnt in Frankfurt/Main, während ich in Wiesbaden lebe. Allerdings hat er eine Freundin (seit einigen Jahren), die ihn (ca. drei bis vier) Tage in der Woche "um sich hat", heißt: das Pflegepersonal bringt ihn morgens zu ihr und holt ihn abends wieder ab, sie bringt ihn noch zu Bett und fährt dann mit der Tram nach Hause.

Mein Vater ist ein schwieriger Mensch - er hat immer gern die Realität verdrängt und sich seine eigene Wahrheit geschaffen. Will heißen: lieber sich alles schön reden, als sich der bitteren oder traurigen Wahrheit zu stellen. Wenn ich mal mit seiner Freundin telefoniere - sehr selten, denn das fällt mir äußerst schwer - hat sie immer den Lautsprecher des Telefons an, sodas mein Vater mithören kann. Ich habe ihr dann die letzten Male versucht zu erklären, wie es um meine Gesundheit steht. Habe versucht, ihr die MCS zu erklären,
was sie verursacht, wie es einem dabei geht, wenn man das Haus nicht mehr verlassen kann, weil einen alles umhaut, in die Knie zwingt, niederstreckt für Tage (und sei die Exposition noch so gering).
  Beim letzten Telefonat habe ich ihr versucht zu erklären, wie schlimm es für meinen Vater sein muss, mich mit einer Atemmaske zu sehen. Er weint meistens sowieso nur wenn er mich hört, denn er will mir vieles sagen, mitteilen, das er ja nichts mehr in Worte fassen kann. Und Stress bzw. Aufregung will ich vermeiden - für ihn wie auch für mich. Doch einige Male kam dann der Ausspruch: "Und wie wäre es, wenn du eine Maske nimmst? Wie die in Japan?" (dafür verteile ich 4 Roys, denn allein das sie es binnen fünf Minuten mehrmals fragte, gab mir zu verstehen, das sie mir nicht einen Moment wirklich zugehört hatte).



Gegen Ende des Telefonats sagte sie ganz nebensächlich, das sie und mein Vater dann Sonntags (wir hatten Mitte der Woche gesprochen) hier vorbeischauen wollten. Dazu müsste ich natürlich ins Treppenhaus kommen, denn mein Vater sitzt - leider - im Rollstuhl, und wir könnten ihn hier nirgendwo hinsetzen, geschweige denn das wir ihn überhaupt irgendwie die Treppen raufschaffen könnten. Jedenfalls teilte ich ihr mit, das dies keine gute Idee sei, denn ich kann aufgrund meines momentanen absolut desolaten Zustandes und dem Schweregrad der MCS gar nicht ins Treppenhaus - geschweige denn mich dort minutenlang aufhalten! Zudem das ich auf alles stark reagiere: somit auch auf seinen Desinfektions-Geruch, seine Windeln, die Ausdünstung des Rollstuhls, auf ihre Schminke, das Waschmittel/Weichspüler etc....
 Sie sagte, naja, dann müssten wir eben ein andermal sehen, ob es geht.

Dieses Telefonat liegt ca. 6-8 Wochen zurück.

Sonntag - ich lag Nachmittags im Bett und konnte auch erst gegen Abend wieder aufstehen - klingelte es des nachmittags. Ein eindeutiges Klingeln, das mein Vater seit meiner frühen Kindheit immer verwendet hat, damit ich wusste, das er an der Tür ist (konnte er sich nie abgewöhnen *süß). Ich war wie von der Rolle. In Panik geriet ich zwar nicht, wurde aber sehr nevös. Denn ich hätte meinen Vater doch zu gerne mal gesehen, in die Arme genommen...

Mein Lebensgefährte ging in den Hausflur und kam einige Minuten später - recht wütend - wieder zurück. Er sagte mir, das mein Vater schon mit dem Rollstuhl ganz nervös wieder hatte "fliehen" wollen, als er ihm und seiner Freundin mitteilte, das wir doch telefonisch x mal erklärt hatten, das aufgrund der MCS ein Besuch sehr gründlich durchgeplant werden muss; und das es mir so schlecht ginge zur Zeit, das ich nicht fähig wäre, in den Hausflur zu gehen. Warum das nicht einfach respektiert würde bzw. warum sie nicht fähig seien, vorher hier anzurufen, damit wir ihnen hätten mitteilen können, das ein Besuch hier sinnlos sei?
Antwort der Freundin: "Wir haben uns erst heute morgen spontan entschieden, hierher zu fahren. Außerdem dachte ich, wenn wir dann hier sind, kommt seine Tochter schon runter."
Mein Lebensgefährte antwortete daraufhin: "Sie kann nicht mehr vor die Tür gehen, auch nicht ins Treppenhaus. Das habe ich doch mehrmals erklärt - und sie auch. Das fesselt sie für Tage nur noch ans Bett."
Freundin: "Aber es gibt doch so Masken, wie die in Japan die nehmen..."
Lebensgefährte: "Diese Masken nutzen gar nichts. Und außerdem reagiert sie darauf auch. Und ihr hättet doch heute morgen noch anrufen können, ehe ihr losgefahren seid."
Woraufhin die Freundin meines Vaters errötete und nichts mehr zu sagen wusste. Daraufhin sind sie dann gegangen. Sprechanlage war wohl nicht gut genug, um mir wenigstens 'hallo' zu sagen.

Mich hat das sehr traurig gemacht. Ich hätte nichts lieber getan als meinen geliebten Vater zu umarmen, seine Hand und seinen Arm zu streicheln (in dem er noch Gefühl hat, etwas spürt), ihm zu sagen, wie sehr ich ihn vermisse und liebe...

Doch wenn jemand nicht zuhören will - nicht verstehen will - kann man noch so viele Worte machen, diese Menschen wollen es eben einfach nur verdrängen. Für sie ist es absurd oder grotesk, für sie ist man ein Simulant oder Freak. Es ist ihnen unbegreiflich - denn ihre Ohren und Herzen sind zu, dicht.

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