Montag, 6. Juni 2016

Arztbesuch beim Schmerztherapeuten

Seit ca. 4 Monaten war ich nicht mehr vor der Tür aufgrund meiner MCS. Und davor auch seit ungefähr November nicht mehr (genau merken kann ich mir die Monate nicht mehr, die Zeit, eingesperrt in der Wohnung, ist zeitlos geworden).

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AUSGANGSSITUATION:

Freitags vor zweieinhalb Wochen stand ich auf und konnte meine Arme nicht mehr richtig bewegen. Meine Knie fühlten sich an wie Pudding. Beim geringsten Anheben der Arme (z. B. beim Zähneputzen und auch beim Nehmen des Wasserglases) wurde mir schlecht, als müsse ich mich übergeben. Nervenschmerzen machten sich im gesamten Körper breit. Mir wurde plötzlich so schwindelig (Drehschwindel), ich bekam Herzrasen, der Brustkorb tat furchtbar weh, der linke Oberschenkel schmerze mit einemmal fürchterlich... es zwang mich in die Knie vor lauter Schmerz. Mir sackte der Kreislauf weg, es flimmerte mir vor den Augen. Ich schleppte mich auf's Sofa - ca. 8-10 Meter nur vom Bett entfernt.

Ich lag eine Weile regungslos. Nach ungefähr einer halben Stunde schien mein Zustand sich stabilisiert zu haben. Ich dachte, ich könne mich aufsetzen. Doch kaum, das ich meine Finger bewegte, meine Hände, meine Arme, um mich abzustützen, sackte wieder der Kreislauf weg. Ein schrecklicher, angsterregender Schmerz durchlief meinen
gesamten Körper. Nicht, das ich Kopfdruck bekam. Der Nacken fühlte sich nicht steif an, nein, bei der kleinsten Bewegung des Kopfes wurde mir kotzelend. Der Magen schmerzte auf unbekannte Weise - nicht wie sonst, nicht der übliche Magendruck.

Ich versuchte, einen Fuß zu bewegen - einen Zeh nur. Sofort wurde mir wieder schwindelig. Also blieb ich einfach auf dem Sofa liegen. Sobald ich einen Finger bewegte - obwohl ich lag - dachte ich, ich müsse zusammenbrechen. Die Schmerzen im gesamten Körper waren unerträglich... und ich wußte nicht, woher das kam!

Einen Tag später - ich konnte nicht wirklich laufen, kaum auftreten, vor allem mit dem linken Fuß/Bein nicht - war ich fast sicher, das es ein Bandscheibenvorfall gewesen sein müsste...

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Mein Freund vereinbarte einen Termin in einer Schmerzterapeutischen-Praxis. Nicht einfach Orthopäden, nein, Schmerztherapeuten! Bei dem leitenden Arzt in dieser Praxis war ich bereits zwei Mal, und das ist - zum derzeitigen Stand - der einzige Arzt, dem ich noch einigermaßen vertraue. Ich bekam allerdings weder den ersten Termin des Tages (das ist mittlerweile schon Bedingung, damit ich nicht den Gerüchen und Beduftungen anderer Patienten ausgesetzt bin), noch bei dem Arzt, den ich zuvor schon besucht hatte (somit einer Koriphäe der Schmerztherapie, der all jene Knochenläsionen allein durch Abtastung hatte feststellen können, die andere Ärzte nur mit CT und Röntgen/MRT haben feststellen können).

Klar hatte ich Angst! Angst vor die Tür zu gehen in meinem Zustand! Ich kann nicht mal mehr einfach gedankenlos die Wohnung lüften, um nicht ständig - selbst nachts - auslösenden Abgasen und mit chemischen Gerüchen versehener und weichgespülter Wäsche, gedüngten Blumen oder bis über alle Maßen eingesprühten (=deodorierten/parfümierten) Balkon-Nachbarn konfrontiert zu werden; ganz zu schweigen von Nachbarn, die alle Fenster und Türen (ja, auch die zum Treppenhaus) aufreißen, um ihre eigenen Putzmittel "abziehen" zu lassen (und ebenso ihre mit Chemie angereicherten Koch"düfte"!)! Das dringt ständig durch jeden Spalt meiner Wohnung, demgegenüber bin ich machtlos - hilflos...

Wie dem auch sei, ich stand Montag Morgen auf, dachte schon: "Nee, das pack ich nicht." Und im nächsten Moment dachte ich: "Es ist wichtig, so wichtig! Wenn ich es nicht wenigstens versuche, dann wird sich niemals was ändern, niemals wird es besser... "
Aber ich hatte schon aufgegeben.

Bis ich ins Wohnzimmer kam. Ich aß mein Brot, mein Lebensgefährte sagte nichts, schien aber guter Dinge. Ich ging ins Bad, um mich anzuziehen. Ich dachte: "Ich muss es versuchen!"

Und das tat ich. Obwohl ich nicht wusste, wie ich den Weg schaffen sollte, geschweige denn in die Praxis zu gehen. Ich zog mich an, war nicht ganz ruhig, aber gefasst. Ich nahm mein dickes Halstuch, presste es mir vor die Nase - mit beiden Händen - und ging. Ich atmete (wie mittlerweile leider gewohnt) nur durch den Mund. Meine Reaktion als ich vor Tür trat nach all den Monaten: ich dachte, es haut mich um! Die Autos fuhren vorbei, die Abgase schienen mich schier umzuhauen.
Ich ging weiter. Ich sah nur geradeaus. Ich dachte nur daran, wie schlimm diese Schmerzen waren. Wie dreckig es mir ging, mit den Schmerzen in der Bandscheibe, im Rücken, und das ich es schaffen könnte. Der Weg ist nicht weit - als gesunder Mensch nur fünf Minuten. Für mich - fast unüberbrückbar lange. Ich dachte nicht daran. Nur daran, das ich dem Schwefelbrunnen aus dem Weg gehen müsse, ich dachte daran, das ich gewisse Gullis vermeiden müsse (aus denen die Faulsäure emporsteigt).
"Kein weiter Weg, es ist wichtig."

Ich hörte meinen Freund sagen: "Das machst du sehr gut!" und "es ist gleich vorbei, wir sind gleich da, das schaffst du!"

Keine 100 m von meiner Wohnung entfernt wurden in einer Hofeinfahrt (zu einem Gym) Fenster geputzt. Der Knilch sprühte die natürlich genau dann ab, als ich vorbeilief. Ich knickte fast ein. Der Griff um mein Tuch wurde so fest, das mein Gesicht schmerzte. Mein Freund sagte:
"Es ist gleich vorbei... es ist rum. Du schaffst das!"

Der Geschmack des Fensterputz-Mittels war in meinem Mund, ich mußte fast kotzen, so elend war mir. Aber weiter. Nur noch 2/3 des Weges, dann hätte ich es geschafft. Vielleicht ein bißchen mehr...

Plötzlich ging es schnell: die Geschäfte vor denen es mich graut (Frisör-Läden, Schuh-Läden, whatever) hatten noch geschlossen. Ganz schnell war ich an der Arzt-Praxis. 15°C waren es morgens um 8:15 Uhr, ich war eingehüllt in einen dicken Kapuzen-Pulli. Ich schwitze. Wir betraten das Treppenhaus, ich bat meinen Freund darum, mir die Kapuze vom Kopf zu nehmen. Mein Rücken war nass vor Schweiss.

Mit dem Aufzug hoch in die Praxis (2. Stock). Ich kam rein, nahm nur für ein-zwei Sekunden mein Tuch vom Gesicht... boah, schrecklich! Dieser Gestank!
Ich konnte die 5 m zum Tresen nicht gehen, meine Knie wurden weich, Blutdruckabfall, extreme Übelkeit, leichter Schwindel. Mein Freund war sofort wieder an meiner Seite und öffnete ein Fenster. Machte es nicht besser, da dies genau auf das Dach zum Belüftungssystem hinausging. Der Griff um mein Tuch wurde wieder fester.
Ich verlor die Konzentration, jegliches Zeitgefühl. Es können höchstens 60 Sekunden vergangen sein, als ich so am Fenster stand, da tickte mein Freund mir auf die Schulter. Ein junger Mann stand da neben mir, der sich mir als "Dr. Sowieso" vorstellte. Mein Freund sagte:
"Das ist die MCS-Patientin."
Der Arzt sagte: "Oh -" (in seiner Stimme schwang Bedauern mit) "- gehen Sie in Raum Nummer drei."
Wir gingen 3-4 Meter bis Raum Nummer drei, da war der Arzt schon hinter mir und fragte:
"Sollen wir die Tür auflassen oder lieber nicht?"
Ich nuschelte (durch mein Tuch): "Lieber das Fenster."
Sofort öffnete er das Fenster, klemmte ein Kissen dazwischen, damit es aufblieb, setze sich ---- und hörte zu.

Anfangs sprach mein Freund, da ich einen Moment brauchte, mich orientieren zu können. Nach einer Weile - ca. 1-2 Minuten - sprach ich mit dem Arzt. Er war sehr jung, viel jünger als ich, und ich hatte Probleme, durch das dicke Tuch atmen und sprechen zu können. Aber - und das sehr zu meiner freudigen Überraschung! - der Arzt hörte mir zu. Sah mich an, während ich sprach, und dann fragte ich nach einem Moment:
"Verstehen Sie mich durch das Tuch?"
Er nickte:
"Ja, sehr gut, lassen Sie sich Zeit!"
Ich konnte ja gar nichts anderes, als mir Zeit lassen - und er hörte geduldig zu, schrieb sich alles auf, was ich sagte: die Symptome, wann der Schmerz in der Bandscheibe/Rücken begonnen hatte, welche Probleme ich bei den Bewegungen mit den Armen hatte... etc.

Selbst während der Bewegungs-Tests (natürlich nur wenige), die ich durchführen sollte (immer mit beiden Händen das Tuch vor die Nase und den Mund gepresst), war er sehr geduldig, sehr gründlich, lachte oder grinste nicht. Manche Tests - Gefühlstest in den Beinen und Füßen - führte er gründlich (auf mein Verlangen) mehrmals durch, erklärte, warum er das machte, wieso dies und das wichtig oder nicht ganz so wichtig sei...

Nach einer Weile sagte er:
"Sie hatten keinen Bandscheibenvorfall -"
Ich atmete (innerlich) auf!
" - Sie haben entzündete Nerven im Rücken. Wenn die Schmerzen länger als 6-8 Wochen anhalten, kommen Sie gerne nochmal wieder. Meistens gibt sich das nach einigen Wochen wieder."
Tipp: Bewegen, aber nicht in den Schmerz. Wenn man also bei einer Bewegung extrem starke Schmerzen verspürt - auch verbunden mit Übelkeit, Brechreiz, Schwindel, Nervenzucken-/Schmerzen - sollte man diese Bewegungen vermeiden. Ausruhen ist wichtig, aber vor allem viel bewegen: Gymnastik, alltägliche Bewegungen, nicht versuchen sich anders als "normal" zu bewegen.

Der Heimweg ging dann leichter. Ich war leichter. Ich hatte es endlich zum Arzt geschafft! Ich hatte das durchgezogen! Das hat mir ein klein wenig Mut gemacht, Hoffnung und Kraft gegeben.



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