Sonntag, 17. Dezember 2017

MCS - fröhliche Weihnachtszeit?

Ich wollte schon seit einiger Zeit meine Gedanken zum Thema MCS und Weihnachten niederlegen. Aber wie das so ist: gerade dann, wenn es einen am meisten (seelisch) schmerzt, zieht man sich lieber zurück und beschäftigt sich mit anderen Dingen. Den Anstoß zu meinem heutigen Beitrag gab mir dann der hier verlinkte Blogartikel einer Betroffenen, der mich motiviert hat, mich geistig zu sortieren, und auf ein Thema zu fokussieren, das für die Gesellschaft so selbstverständlich wie das Atmen ist.

Gerade jetzt in der (Vor-)Weihnachtszeit wird mir wieder schmerzlich bewusst, wie
lebenseinschneidend MCS ist. Ich lebe seit gut zweieinhalb Jahren nur noch in der Wohnung, nach draußen gehen kann ich nicht. Nicht allein die Abgase zwingen mich in die Knie, die Feinstaubbelastung, die weichgespülten Klamotten der Leute, die an mir vorbeigehen, ihr Deo und Parfüm - jetzt ist die Zeit der Weihnachtsmärkte und Tannenbäume. Der Geruch nach ätherischen Ölen, die von den Bäumen abgesondert werden, und ein Mischmasch undefinierbarer, mannigfacher anderer Stoffe hängt schwer in der Luft. Selbst das Lüften der Wohnung ist nur kontrolliert und kurzzeitig möglich (mehr als fünf Minuten wäre eine Zumutung) - und auch nur, wenn ich in dieser Zeit das Zimmer verlasse. Das, was andere über die Nase wahrnehmen, schmecke ich im Mund. Es ist, als hätte ich etwas geschluckt, das nun tagelang ausgeatmet wird. Dieser Geschmack ist widerlich, und alles schmeckt danach: mein Wasser, mein äußerst eingeschränktes Nahrungsangebot (vier Lebensmittel), die Luft, meine Haut.

Ich stehe manchmal am Wohnzimmerfenster. Vor einigen Tagen hat es geschneit, nur Schneeregen, doch im orangenen Schein der Straßenlaternen leuchteten die Flocken. Die Straßen waren für ein oder zwei Stunden fast ganz weiß. Die Fenster im Hotel gegenüber sind mit weihnachtlichen Motiven besprüht, und die Rahmen werden von warm strahlenden Lichterketten geschmückt. Ich stand einen Moment lang in dieser Nacht am Fenster und betrachtete das Szenario. Alles war ruhig und friedlich, nur der Schnee und die Lichter, die die Dunkelheit in gemütlichen Schein tauchten... und meine Sehnsucht war so unbändig groß, das sie meine Seele ausfüllte.

Ich erinnere mich (gerne) an Weihnachten in meiner Kindheit zurück. Es gab Stollen und Lebkuchen erst Ende November/Anfang Dezember im Handel, und an Weihnachten wurden diese festlichen Leckereien aufgetischt. Es war ein Genuss! Es schmeckte köstlich, es war etwas ganz Besonderes und ich habe jeden Bissen in den weichen, saftigen Lebkuchen genossen. Mein Vater und ich haben an Weihnachten immer Plätzchen gebacken - meist schon eine Fertigmischung, das war in den frühen 80ern eine Revolution! Zumal mein Vater nicht so ein grandioser Koch/Bäcker war. 😉 Ich habe die Plätzchen ausgestochen, und während er sich um den Belag kümmerte (am liebsten mochte ich Vanillekekse mit Marmelade drauf, natürlich auch mit schön viel Puderzucker oder Zuckerglasur), naschte ich die Teigschüssel leer... ui, das war so lecker! Dieser süße, klebrige Teig an meinen Fingern, ich konnte nicht genug davon bekommen!
Dann haben wir zusammen den Baum geschmückt. Wir hatten viele alte Glaskugeln meiner Omi, eine Lichterkette mit weißen Tropfenlichtern (die hatten Klammern, mit denen man sie an den Zweigen befestigte, ich weiß gar nicht, ob es das noch gibt), Lametta und Engelshaar, und natürlich Holzfigürchen. Das Lametta und Engelshaar hat mein Vater nach Weihnachten immer sorgfältig glattgestrichen und - ich weiß nicht wie, aber er hat es geschafft - wieder zurück in die Verpackung gefriemelt. Wir hatten viele Jahre immer das selbe Lametta, es wurde nichts weggeworfen. Auf die Baumspitze kam unser Engelchen mit einem weißen Kleidchen und goldenen Spitzen. Es hatte wallendes, weißes Haar und goldene Flügel.
Um siebzehn Uhr war an Heiligabend Bescherung. Mein Vater klingelte mit einem kleinen Glöckchen und rief: "Das Christkind war da!" Ich war immer so aufgeregt! Meistens war es mir schon vor Weihnachten gelungen, einen Blick auf meine Geschenke zu erhaschen. Es war ein Spiel zwischen meinem Vater und mir: er versteckte die Geschenke jedes Jahr woanders, und ich suchte, bis ich sie fand. Natürlich nicht alle. Die größte Überraschung versteckte er immer ganz besonders gut.
Nach der Bescherung dann aßen wir, sahen einen schönen Weihnachtsfilm (ich liebe "Wir sind keine Engel" von 1955 noch heute so sehr!), und dann ging es noch in die Spätmesse. Wenn ich an diesem heiligen Abend im Bett lag, war ich selig. Ich war erfüllt von Freude und Glück und dachte, das würde niemals enden.

Und wie ist es heute? Ich sehne mich nach meiner Weihnachtsdeko, die bescheiden ist, nur ein paar Kugeln, ein kleiner, künstlicher Baum (keine 40 cm hoch), ein paar Holzfiguren, eine Lichterkette und Krimskrams zum Hinstellen. Doch obwohl mein Bäumchen schon um die 15 Jahre auf dem Buckel hat, ist es mir nicht mehr möglich, ihn aufzustellen. Deko kann ich ganz vergessen, die Ausdünstungen hauen mich um - obwohl auch diese schon längst ausgegast sein sollten, riechen sie unangenehm, beißend, verursachen Übelkeit und Schmerzen im ganzen Körper. Das zeigt mir, wie viel Chemie in all dem steckt, mit dem sich der Mensch so selbstverständlich umgibt. Was alles eingeatmet wird, in den Körper, zum Teil Blutkreislauf gelangt, sich in den Organen ablagert. Sicher, ein körperlich gesunder Mensch entgiftet, das funktioniert automatisch. Aber mit MCS ist das nicht mehr möglich. Der Körper läuft bei den geringsten Spuren, die er nicht abbauen kann, Amok und ist nicht mehr fähig, die Nerven dauerhaft vor Vergiftungen zu schützen. Gerne wird auch eine Kreuzwirkung vergessen: auch wenn ein Stoff vertragen wird, kann er in Kombination mit einem anderen Stoff eine gefährliche Mischung bilden, die den Körper im schlimmsten Fall in einen anaphylaktischen Schock versetzt.
Und was dann tun? Ins Krankenhaus gehen? Das geht nicht. Es gibt keine Zimmer für MCS Patienten. Es gibt keine Vorkehrungen, die Umweltkranke von "anderen" Patienten abschottet und garantiert, das man sicher ist. Die Behandlungen in Krankenhäusern können alles noch weitaus verschlimmern.
Und dieses Risiko eingehen für ein bißchen Weihnachtsdeko? Dann doch lieber nicht.

Und so bleibt mir nur die Erinnerung an all die Weihnachtsfeste vor der MCS. Schöne Erinnerungen, meistens. Aber auch nur Gedankenwelten. Ich hätte so gerne noch mal ein Weihnachten, an dem ich das weihnachtliche Gefühl, das in mir lebt, nach außen kehren kann. An dem ich nach Herzenslust schlemmen und naschen kann, dekorieren und spazieren kann, um meine winterlichen Bäume zu besuchen, die mir immer so viel Kraft und Trost spendeten.

Auch sehe ich manchmal, wenn ich vom Desktop aufblicke (mein Schreibtisch steht am Wohnzimmerfenster, ich brauche Inspiration) die Menschen, wie sie abends vom Weihnachtsmarkt kommen (jedenfalls in meinem Kopf waren sie dort, ob es nun wirklich so war, sei dahingestellt 😉). Sie haben die Arme fest um ihre Mäntel geschlungen, den Schal dick um den Hals gewickelt. Die Nasen rot vom Glühwein. Sie lächeln, lachen, unterhalten sich, sind fröhlich und fühlen sich wohl. Manche haben Einkaufstaschen bei sich, prall gefüllt. Ich stelle mir vor, was sie für Leckereien eingekauft haben. Was Süßes? Oder etwa viel Käse? Vielleicht eine schöne Dekoration für's Wohnzimmer oder die Küche? Oder sogar ein paar Geschenke für ihre Lieben?
Ich wünschte so sehr, ich wäre an ihrer Stelle. Ich käme vom Weihnachtsumtrunk aus meiner ehemaligen Stammkneipe, in die ich mich verkrochen habe, nachdem es mir zu kalt auf dem Markt wurde. Meine Wangen sind rot vom leckeren Alkohol, mein Bauch satt vom Früchtebrot und wunderbar kartoffeligen Puffern mit Apfelmus. Ich habe - die sogenannte Schnapsidee, wenn man leicht einen sitzen hat - noch ein Geschenk für meinen Lebensgefährten gekauft, und ich freue mich schon darauf, jetzt noch so spät am Abend einen Glühwein daheim zu trinken, während ich mich unter meine Decke kuschel...

Abgeschlossen habe ich damit nicht. Das geht nicht. Ich kann es nicht. Ich sehne mich nach diesem Leben zurück. Aber aufgegeben habe ich es. Ich gehe kein dummes Risiko ein, wenn ich es doch besser weiß.

Und so möchte ich an dieser Stelle an alle Betroffenen ein "Frohes Weihnachten" senden! Ich denke an euch, wo immer ihr seid! Ihr seid nicht alleine! Auch wenn es oft scheint, als gäbe es keine Hoffnung mehr, so haltet euch fest an all dem Schönen, das in euch lebt! Das seid ihr! Ganz gleich, was die Außenwelt uns Erkrankten nachsagt, wir wissen, was mit uns los ist, wir wissen, was gut für uns ist, wir wissen, das wir mit dieser Erkrankung leben - und wir haben unsere Erinnerungen, die uns warm halten. Ich umarme euch herzlich (wenn auch nur virtuell) und wünsche euch ein gesegnetes Weihnachtsfest!


Zum Bild gibt es zu sagen, das ich es selber entworfen habe. Anfangs wollte ich alles blau und etwas trist halten. Doch dann dachte ich mir: warum eigentlich? Weihnachten strahlt, Weihnachten schimmert und glüht. So intensiv das Gefühl in mir ist, so sehr möchte es doch ausbrechen und will dargestellt werden. Und so wurde mein Weihnachtsbaum für uns MCS-Kranke immer farbenfroher, immer leuchtender. Ich hoffe, dieses kleine Licht kann euch etwas Hoffnung und Trost schenken zu einer Jahreszeit, in der die Einsamkeit besonders hart zuschlägt.

P.S.: Zum Abschluss möchte ich euch ein Lied schenken, und zwar keines, das sentimental macht oder uns daran erinnert, das wir einsam sind, sondern einen Song, der gute Laune verbreitet und dennoch den Geist der Weihnacht in wunderbarer Weise versprüht! Macht euch ein tolles, ein kleines, ein kuscheliges, wunderschönes Weihnachtsfest! 💖




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