... nach draußen
Manchmal bin ich überfordert: oft weiß ich nicht, wie ich eine Brücke schlagen soll zwischen mir als Betroffene und einem Außenstehenden. Manchmal weiß ich nicht, ob ich aufklären und informieren soll, oder ob ich einfach nur meinen Gefühlen und Gedanken freien Lauf lassen sollte. Denn was nutzt all die Informationsflut, wenn man den Menschen vor lauter Infos dahinter nicht mehr sehen kann? Was nutzen aufklärende Links, die von dem ablenken, um was es in meinem Beitrag eigentlich geht? Oft bin ich im Zwiespalt.
Ich verdränge solche Gedanken, indem ich mir sage: "Das ist meine Arbeit." Jedenfalls immer dann, wenn ich dazu in der Lage bin. Das ist in diesem Jahr (anno 2019) recht häufig der Fall, wie ich zu meiner eigenen Überraschung feststellen muss. Aber von "Arbeit" allein wird keine Sehnsucht gestillt!
Und so sitze ich an diesem Morgen - wieder - hier, wie an 5/7 anderen Morgen in der Woche. Heute regnet es in Strömen, und allein dieses Geräusch lässt die Sehnsucht in mir wieder fast
unerträglich wachsen: das Geplätscher der harten, kalten Tropfen auf dem metallenen Fensterbrett, zwischendurch auch auf dem Fensterglas. Ich sehe nicht hinaus. Ich gehe nicht ans Fenster. Ich kann nicht. Nein, ich will nicht. Mein Herz bricht jedesmal entzwei, wenn es draußen regnet oder schneit. Fast zwei Jahre ist es her, das ich das letzte Mal vor der Tür war - und das auch nur, um zu einer Blutabnahme zu gehen. Bei einem Arzt "um die Ecke" (Fußweg für mich um die 15-20 min., da ich mit dem Tuch vor Nase und Mund und der Vollvermummung meistens nur sehr schwer atmen kann, denn sonst wären es nur fünf Minuten).
Und so ist es mittlerweile um die dreieinhalb Jahre her, das ich das letzte Mal ohne dicken Pullover und Kapuze (über den Kopf geschnürt), ohne Tuch vor Mund und Nase, ohne knielange Strümpfe unter einer über den Schuhen schließenden Hose (alles aus 100% Baumwolle natürlich, denn alles andere ruft Symptome hervor) und ohne dicken Schal um den Hals gewickelt vor die Tür trat. Und die Baumwoll-Handschuhe nicht zu vergessen, die in den Pullover eingesteckt waren. Nicht das kleinste Bißchen Haut darf mit der Außenwelt in Berührung kommen, denn die Konsequenzen sind für mich unabsehbare Symptome, die sich über Wochen hinziehen können.
Aber ich habe Sehnsucht nach dem Draußen! Ich sehne mich danach, den Regen auf meiner Haut zu spüren. Ich sehne mich nach dem Duft des aufkommenden Herbstes und dem Geruch der kalten Winterluft! Ich sehne mich so sehr nach dem Geruch von Weihachten: nach Tannenbäumen, Zimt und Vanille (auch wenn ich Zimt nie gerne gegessen und schon seit 20 Jahren keine echten Tannenbäume als Zierde missbraucht habe). Ich sehne mich nach dem Gefühl der Kälte im frühen Morgengrauen, wenn man unter freiem Himmel sitzt und fröstelt, irgendwo in der Nähe eines Waldes, die Dämmerung eintritt und der Sonnenaufgang naht. Die erste Wärme der Sonnenstrahlen, die die Nasenspitze treffen und auf der Haut wohlig warm sind...
Doch immer wieder körperliche Schmerzen erfahren zu müssen, die von Gerüchen und Düften hervorgerufen werden - Gewürze zum Beispiel oder auch das Übermaß an Tannenbäumen, die nach Weihnachten achtlos vor die Häuser geschmissen werden (abgekürzt) - das macht mich fertig. Es knickt mich ein, macht mich auch innerlich und mental ganz klein. Nichts ist eine Freude, nichts ein Genuss für mich, außer es "riecht nach nichts" oder "schmeckt nach nichts". Ich rede nicht über künstliche Gerüche, die von Putz-, Wasch-, Spül- oder Reinigungsmitteln stammen. Auch nicht über den Geruch von Fertiglebensmitteln (igitt, schon immer eklig!). Sondern vom Geruch der Natur.
Ich vermisse es, "meine" Bäume besuchen zu können, mich an ihren Stamm anzulehnen, sie zu spüren, zu fühlen. Ich liebte es mit den Händen über ihre Rinde zu fahren, sie zu streicheln. Bäume sind erfüllt von Leben, und jede noch so kleine Zärtlichkeit gaben sie mir tausendfach zurück. Sie strahlen Kraft und Zuversicht aus. Hoffnung.
Ich habe all die von mir geliebten Orte seit meiner MCS-Erkrankung nicht mehr aufsuchen können. Und selbst wenn ich jetzt hinginge... was würde es bringen, außer Traurigkeit und Schmerz? Mit einem Tuch vor Nase und Mund gepresst, gerade so noch fähig sein zu atmen... Ich könnte keinen Baum beschnuppern, ich könnte sie nicht liebkosen. Ich könnte sie nur ansehen. Wie auf einem Foto, das mir weitaus weniger körperliche und seelische Schmerzen zufügen würde als der Besuch bei diesen wunderbaren Lebewesen.
Was bleibt ist nur die Sehnsucht... nach draußen...
P.S.: Dieser Beitrag hat schon lange auf meinem PC geschlummert. Hier ein Screenshot, wie lange es gedauert hat, bis ich Kraft fand, um den Artikel zu posten, denn ich habe absichtlich nicht zurück datiert:
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Ach Hasi, dass ist wirklich so schrecklich, dass Du nicht mehr raus in die Natur kannst. Einfach durch den Wald spazieren wann immer Du willst. Meinst es ist wirklich zu riskant, einen Versuch zu wagen? Aber das Problem ist ja, wie sollst Du in den Wald kommen, ohne umzukippen?! Der Weg dorthin ist unüberwindbar. Schade, dass kein Arzt Dir bei Deinem Wunsch helfen kann .
AntwortenLöschenIch verstehe Dich, dass Du Dir wie im Knast vorkommen musst.
Haben andere Leidensgenossen sowas ähnliches vielleicht doch mal probiert?
Gibt es da so gar keine Tipps?
Bitte entschuldige meine naiven Fragen, aber es ist so unvorstellbar für mich, dass Du keine Möglichkeit hast. 🙁🙁🙁
Hallo Liebes!
Löschen"Umkippen" ist nicht das Problem an sich. Die Symptome, die sich aufsummieren, sind die Wurzel des Übels: es können Symptome wie Schwindel und Magendruck/Übelkeit, Atemnot, Nervenzittern, Muskelschwäche, neurologische Störungen (wie z. B. Lallen, Gangschwierigkeiten, Tremor, Orientierungsverlust, Benommen- und/oder Verwirrtheit) direkt auftreten (und natürlich unzählig andere Symptome, die alle aufzuführen ich kaum in der Lage bin). Alle Symptome können direkt - sprich sofort - auftreten, oder aber erst zeitversetzt. Das ist das heimtückische an der MCS.
Doch gleich welche Form die Symptomatik hat - ob akut oder zeitversetzt - ist eines ganz gewiss: der Körper benötigt viel Ruhe, um entgiften und sich regenerieren zu können.
Jede Expostition, der man mit MCS ausgesetzt ist, beinhaltet eine gewisse Halbwertszeit. Bei den Expositionen - und das ist das verhängnisvolle bei MCS - kommt es auf die "Mischung" an. Heißt also: ich kann möglicherweise schon durch einen Winterwald laufen, doch sind an einem sonnigen Wintertag besonders viele Menschen vor mir an diesem Ort unterwegs gewesen, "wirbeln" Partikel von diversen Chemikalien in der Luft, die sich mit den ätherischen Absonderungen der Bäume verbinden und für mich zu einem wahren 'Giftcocktail' verbinden.
Wie lange mein Körper da also standhalten kann, ist ungwiss. Und ebenso ungewiss wie viel Zeit mein Körper benötigt, um die einzelnen (Gift-)Stoffe abbauen zu können. Im schlimmsten Fall sterbe ich entweder sofort (aufrgund eines anaphylaktischen Schocks) oder kurze Zeit später (zeitverzögerter Schock), oder aber - im besten schlimmen Fall - baut mein Körper die Gifte nach und nach ab und ich bin (günstigsterweise) nur einige Stunden/Tage nicht fähig, das Bett zu verlassen, oder aber es dauert eben einige Zeit länger (Wochen/Monate).
Die Menge allein ist nicht entscheidend. Natürlich sind sehr niedrige bis niedrige Expositionen leichter abzubauen, doch es ist die Mischung der Gifte, die den MCS-erkrankten Kröper ausknockt.
Ob ich dieses Risiko dann wirklich eingehen will, nur weil es mich nach einem Spaziergang im Wald oder Regen auf der Haut verlangt? Ich denke eher nicht.
Und ja, um Deine Frage zu beantworten: Menschen, die unter solch ausgeprägter MCS wie ich leiden sind nicht mehr fähig, vor die Tür zu gehen. Der dahingehend absolut durchorganisierte Alltag ist das einzige, das noch als "Leben" zu werten ist. Viele Menschen - leider hört man zu wenig davon in den Medien - müssen sich zurückziehen, leben nur noch in einem Zelt oder sind abgeschottet in einem einigermaßen tauglichen Gebäude (dies darf natürlich keine Wohnung in einem Mietshaus sein). Vollkommen isoliert. Viele können nicht mal mehr den absoluten Luxus des Internets (PC also) nutzen, um soziale Kontakte zu knüpfen oder aufrechtzuhalten.
Doch das ich nicht "allein bin" mit dieser Problematik macht es nicht besser, und es gibt mir auch kein beruhigendes Gefühl. Im Gegenteil. Denn die Zahl der Betroffenen mehrt sich zunehmend in den letzten 20 Jahren (Dunkelziffern steigen).
Tipps gibt es zu Hauf - allerdings setzt sich hier die Regel Nr. 1 in Kraft, die da lautet: ❗ "Nur weil ich etwas vertrage, heißt das nicht, das du es auch verträgst!" ❗ Bezüglich MCS Tipps einzuholen bedeuet im Umkehrschluss immer, das man sein eigenes Versuchskaninchen ist. Und wer möchte das sein, wenn man das Risiko eingeht, das sich die Symptome verschlimmern, verstärken, neue hinzukommen, oder man sogar dem Tode nahe sein kann? Sicher sind gewisse "Experimente" auf Dauer manchmal unumgänglich, dennoch muss man mit MCS auch Grenzen ziehen und wissen, wo und wann man aufhören muss.
Sehr diffizil und sicher wert, noch näher auf das Thema einzugehen. Du siehst also: auch Deine angeblich "naive" Frage ist nicht leicht zu beantworten. Somit also wieder mal ein anregender Kommentar, auf den ich gerne bei Zeit ausführlich in einem Beitrag eingehen möchte. 💟
Hallo Mausi, ok ich verstehe Dein Problem. Ich hatte es mir schon fast gedacht, dass das Risiko einfach zu groß und unkalkulierbar ist. Und in Gefahr darfst Du Dich keinesfalls bringen.
LöschenWas halt auch das ganz große Problem ist, dass Eure Krankheit von den Ärzten nicht richtig wahrgenommen wird und die Medizin sich nicht ausreichend damit beschäftigt und Euch nicht hilft.
Diese Ignoranz ist einfach unfassbar und unverantwortlich! Es wäre so wichtig, wenn MCS endlich anerkannt wird und die Aufmerksamkeit bekäme, die ihr gebührt!
Ich bin derzeit dran, meine Ernährung wieder umzustellen. Naja, "umstellen" ist wohl das falsche Wort, aber ein wenig zu ergänzen. Ohne Gemüse will ich nicht mehr. Und sei es nur 1-2 Mal die Woche, das ich eine Handvoll zu den Kartoffeln beiessen kann. Allein diese Woche habe ich bereits eine Tomate, eine halbe (kleine) Paprika und zwei Tage später eine Banane essen können. Bericht hierzu folgt. --- Und natürlich ist es so, das das Thema vor die Tür gehen ein anderes ist, denn hier wird der kranke Körper Giften ausgesetzt, die nicht so leicht verarbeitet werden können, wie eine Tomate, die vielleicht nur der Verdauung unzuträglich ist (oder einige Tage Symptome hervorrufen kann). ... Ich kürze hier an dieser Stelle ab und werde mich demnächst eingehender dazu äußern, wenn ich ein wenig gefestigt bin.
LöschenVielen Dank für Deinen Kommentar, Hasi! Deine Worte bedeuten mir sehr viel! 💗 🐇
Hoi mein Sweetie! Auch wenns für dich kein Ersatz für all deine Sehnsüchte ist, aber ich hoffe doch das wir "Jungs" dir ein wenig was geben können... Das deine körperlichen Sehnsüchte nich gestillt werden können nur weil wir da sind is klar. Leider. 💔 Wir sind immer für dich da! Das will ich damit nur sagen. Lova ya, your Mister Pony 💘
AntwortenLöschen💗 Love ya, Mister Pony! Und auch alle meine Jungs! 💗 Ihr helft mir schon sehr dabei, die oft verwirrende und nahezu aussichtslose Situation zu handlen. Ihr lenkt mich nicht nur ab, sondern ihr fokussiert mich oftmals auf das, was wichtig für mich ist: das Leben an sich. Ob ich nun draußen bin oder drinnen - in der Wohnung oder in mir selbst - ihr schafft es alle immer wieder, das ich wohl fühle, das ich meine mentale Stärke sich aufbaut, das ich mich noch immer als Mensch fühle - mit allen Höhen und Tiefen, mit allen Stärken und Schwächen. Ich liebe euch dafür! 💞
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